Unsere Psyche könnte nun eigentlich nicht mehr adäquat und angemessen funktionieren, deshalb wendet sie einen Trick an, um doch irgendwie mit diesen „Irrläufern“ umzugehen: Sie spaltet sie von unserem bewussten Erleben ab, um sie „irgendwann später“ zu verarbeiten. Allerdings wissen weder die Irrläufer noch unsere Psyche, wann und wie das geschehen soll, deshalb melden sie sich in bestimmten Abständen immer wieder in unserem Bewusstsein. Sie wollen endlich einen Anschluss, endlich in eine bestimmte Ordnung gebracht, gesehen und verstanden werden: Sie wollen wissen, wo sie hingehören, und solange geben sie keine Ruhe. Wie auch? Sie tragen wichtige Informationen, die uns ebenso ausmachen und unser Leben prägen wie alle anderen erlebten Ereignisse, aber unsere Psyche ist weiterhin mit der Einordnung überfordert, deshalb schickt sie sie nach Möglichkeit wieder in die Tiefen unseres Unbewussten. Unsere Psyche sagt also immer wieder: Jetzt nicht, ich kann mit dir immer noch nichts anfangen.
Da diese Verdrängung nicht oder nicht vollständig gelingt, beginnen wir bestimmte Überlebens-Mechanismen zu entwickeln, die als „Platzhalter“ dienen.
Zur Sicherheit stellt unsere Psyche diesen Irrläufern auch noch einen Begleiter an die Seite: Einen Mechanismus, der ständig aufpasst für den Fall, dass wir diesem Schmerz, dieser traumatisierenden Erfahrung, dieser nicht verarbeiteten Information zu nahe kommen: Es sind die sogenannten Abwehrmechanismen oder auch Überlebens-Anteile. Wie entstehen sie?
In dem Augenblick der Überforderung, in dem das Informations-Chaos entsteht, muss die Psyche blitzschnell eine Strategie des Überlebens entwickeln: Wir blenden das Ereignis aus und unsere Erinnerung setzt erst da wieder ein, wo es der Psyche als sicher erscheint und die Zeit es erlaubt.
Natürlich versuchen wir trotzdem, uns die Erinnerungslücke zu erklären, denn irgendwie wird es ja weitergegangen sein, musste es weitergehen.
In den Momenten, wo wir dem unangenehmen Ereignis, dem Schmerz, der Scham usw. zu nahe kommen, uns also erinnern könnten, dass da noch etwas Schmerzhaftes, Traumatisches nicht integriert wurde, tritt der Überlebensmechanismus auf den Plan: Etwas könnte am Schmerz kratzen, die Scham hervorholen, das Dilemma der Nicht-Logik aufdecken, also lenken uns die Überlebens-Anteile in die damals erlernte Richtung, die uns hat überleben lassen: Wir meiden gewisse Situationen oder Personen, lenken uns ab, kaufen sinnlose Dinge, zetteln einen Streit an, greifen zu Drogen, stellen uns gedanklich auf die Seite der logischen Erklärung, …die Möglichkeiten der Ablenkung sind mannigfaltig.
Wir erleben dies bewusst als symptomatische Störung, als unangenehmenes Vermeidungsverhalten oder auch Angstzustände, die wir uns nicht erklären können. Wir schränken uns in unserem Leben unbewusst ein, weil wir den Schmerz, die Angst, die Scham, diese unangenehmen diffusen Gefühle vermeiden wollen, zunächst mal eine „völlig gesunde“ Reaktion. Schließlich musste unser Überleben gesichert werden.
Wir schieben die schmerzhafte Realität ins Unbewusste, aber ab diesem Zeitpunkt sind wir scheinbar unempfindlich und laufen auf unerklärliche Weise unrund.
Frühe Traumatisierungen schädigen uns im tiefsten Innern. Sie machen uns stumpf, ohne dass wir merken, wie eingeschränkt unser Leben dann verläuft. Es sind nicht immer die lauten Ereignnisse, die uns traumatisieren, die stillen Traumata, die schlimmen und oft länger andauernden quälenden Ereignisse gehen dem oft voraus.
Wenn Du bemerkst, dass Du immer wieder gegen unsichtbare Mauern läufst, Deine Ziele nicht erreichst, immer dieselbe ungute Art Beziehung suchst, Deine Motivation ohne erkennbaren Grund verlierst, dann kann es sein, dass Du den Kontakt zu Deinem Ich verloren hast. Du hast diese essenzielle Verbindung sehr tief vergraben, um den Schmerz der vergangenen Ereignisse nicht zu spüren.
Bedürfnisse nach Kontakt, Liebe, Wohlwollen und Gewolltsein sind menschlich und notwendig für ein gesundes Leben. Werden sie befriedigt und gestillt, geben sie uns Orientierung und Halt. Die gute Nachricht ist, dass wir heute die Möglichkeit haben, diese Bedürfnisse (wieder) zu entdecken und sie mithilfe unserer eigenen Ressource namens Mitgefühl in unsere Geschichte zu integrieren.